Arbeitsschwerpunkt Forschung zu Kindesmisshandlung und sexualisierter Gewalt
2011 etabliert sich im IPP das Themenfeld Kindesmisshandlung und sexualisierte Gewalt, das sich bislang hauptsächlich auf Gewalt in Institutionen bezieht.
Details
Als zentraler, gesellschaftspolitischer Hintergrund für diesen Forschungszweig fungieren die Aufdeckungen sexualisierter Gewalt im institutionellen Kontext im Jahr 2010. Die als unmittelbare Reaktion darauf von der Bundesregierung initiierte Einrichtung des Runden Tisches Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich. Die Forschungen des IPP stehen u.a. auch in engem Zusammenhang mit der Arbeit der vom Deutschen Bundestag beauftragten Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs in Berlin.
Unsere sozialwissenschaftlichen Aufarbeitungsprojekte beziehen sich vor allem auf Institutionen, in denen gegen Kinder und Jugendliche Gewalt verübt wurde (Kloster Ettal, Stift Kremsmünster, Odenwaldschule, Bistum Hildesheim, bayerische Heime). Der Fokus liegt neben der Darstellung des Ausmaßes der verübten Gewalt vor allem darin, deren Entstehung und Aufrechterhaltung zu verstehen.
Dem Anspruch auf „vollständige Aufklärung“ sind dabei insofern Grenzen gesetzt, als die in Frage stehenden Vorfälle zum Teil Jahrzehnte zurückliegen, einer ausgeprägten Geheimhaltung unterlagen, institutionelle Vertuschungen stattfanden, Erinnerungseffekte wirken, Stichproben selektiv und zeitliche und finanzielle Ressourcen in der Regel begrenzt sind.
Es geht also nicht um „lückenlose Aufklärung“, sondern um Darstellung der Formen und des Ausmaßes der Gewalt und die Identifikation grundlegender systemischer Zusammenhänge. Im Forschungsprozess ist vor allem das Prinzip der Intersubjektivität wirksam, das erlaubt, aus vermeintlichen Erlebnissen Einzelner ein Bild der Realität zu formen, das über diese subjektiven Wahrnehmungen und Bewertungen hinausgeht.
Wissenschaftliche Objektivität gründet sich dabei mindestens auf die folgenden Kriterien:
- Einbeziehung heterogener, zum Teil deutlich gegenläufiger Perspektiven in die Datenerhebung. Analytisches Erarbeiten von Erklärungen für diskrepante Wahrnehmungen
- Regelmäßige Reflexionsgespräche innerhalb des Forschungsteams
- Regelmäßige Rückkopplungen mit Beirat bzw. Begleitgruppe
- Datenerhebung und Datenauswertung anhand von Methoden der qualitativen Sozialforschung
Als Funktionen unserer sozialwissenschaftlichen Aufarbeitungsstudien lassen sich benennen:
- Aufdeckung von Missständen
- Benennung von Taten und Täter*innen
- Anerkennung der Realität von Gewalt
- Gegenstrategie zum Zwang zur Geheimhaltung – Sprachrohrfunktion
- Analyse institutioneller Vertuschungen und Manipulationen
- Konfrontation von Institutionen mit ihrer Vergangenheit und Aufforderung von Übernahme von Verantwortung
- Gewinnung von Erkenntnissen für nachhaltig wirksame Prävention.
Wir erachten Aufarbeitung von Gewalt als unverzichtbare Voraussetzung für eine gelingende Prävention in Institutionen der Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen. Daher wird in jedem unserer Projekte ein empirisch begründeter Bogen von Missständen in der Vergangenheit zu Erfordernissen in Gegenwart und Zukunft gespannt.